Sonntag, 1. Januar 2012

Kommentar zu "Deutschsprachige #OER – Versuch einer ersten Bilanz" (Damian Duchamps' Blog, 31.12.2011)

bit.ly/sucbHK

Danke für die Standortbestimmung zum Jahreswechsel. Ja, auch ich bin der Meinung, dass 2012 ein spannendes Jahr wird. Die Dokumentation des ganzen Spektrums der Initiativen verdeutlicht aber auch, wo die Herausforderung liegt. Es geht meiner Wahrnehmung nicht darum, ausschließlich im Umfeld von Universitäten, einzelnen - "OER-freundlichen" - Bildungsservern und freien Trägern eine effektivere Koordination hinzubekommen. Wir müssen mit dem Thema aus der Nische herauskommen. Der Disput um den "Schultrojaner" hat gezeigt, dass in den Schulen und in der Gesellschaft insgesamt eine Bereitschaft gewachsen ist, sich mit den Konditionen von Bildung im 21. Jahrhundert auseinanderzusetzen. Das müssten wir aufgreifen. 2011 war ein Jahr des netzpolitischen Aufbruchs. 2012 wäre es notwendig, stärker Bildungs- und Netzpolitik zusammen zu denken und eine programmatische Perspektive zu entwickeln. Diese, das hat die "Schultrojaner"-Debatte gezeigt, sollte gesamtgesellschaftlich ausgerichtet sein, trotz des real existierenden Förderalismus. Es geht in dieser Hinsicht auch und gerade um Skaleneffekte. Die Bundesrepublik ist eine der führenden Industrienationen der Welt. Die Art und Weise, wie wir unsere gesellschaftliche Reproduktion organisieren, ist eine eminent politische Angelegenheit. Deshalb sollten wir diese Frage und die denkbaren Antworten auch nicht zu klein denken. Inwieweit eine programmatische Perspektive, die wirklich was verändert, essentiell ein demokratisches Mandat benötigt, ist eine Frage, der wir uns dann 2013ff stellen müssen.

Samstag, 10. Dezember 2011

Diskussion um „Schulbuchtrojaner“ ist eine Wasserscheide

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Am 07.12.2011 fand in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin die Veranstaltung “Schulbuchtrojaner. Urheberschutz oder Gefahr für die Freiheit von Lehre und Forschung?” statt (bit.ly/s9bHmQ). Der Verlauf der Diskussion und einige der Gedankengänge, die durch die Veranstaltung angestoßen wurden, lassen sich im Netz nachlesen: z.B. #gibro (bit.ly/rQAep6), Netzpolitik.org (bit.ly/tlu5m4).

Fair fand ich, dass die Verlage - obwohl sie die Einladung zur Teilnahme am Podium ausgeschlagen hatten - nicht einseitig in absentia an den Pranger gestellt wurden. Den auf dem Podium geäußerten Respekt für die verlegerische Tätigkeit kann ich teilen, obgleich ich es für notwendig erachte, eingehender die gegenwärtige systemische Funktion der Verlage zu reflektieren. Mit Blick auf die Blockaden im öffentlichen Bildungswesen und die sich entwickelnde Diskussion an der Schnittstelle zwischen Bildungs- und Netzpolitik gilt es, hier genauer hinzuschauen.

Der Blickwinkel der Qualitätsentwicklung

Wie so oft, kommt es auf den gewählten Blickwinkel an. Ich möchte hier zunächst den Blickwinkel der Qualitätsentwicklung einnehmen. Ich muss dafür etwas weiter ausholen.

Diejenigen, die die inhaltlich-fachliche Erarbeitung der Lehr- und Lernmittel leisten, sind im Regelfall überdurchschnittlich engagierte und fachlich kompetente Lehrerinnen und Lehrer an Schulen in öffentlicher Trägerschaft. Es sind Beamte oder Angestellte im öffentlichen Dienst, die nebenberuflich ihre im Schulalltag gesammelten und bewährten professionellen Kompetenzen fachpublizistisch veredeln und zugleich, wiewohl die Honorare nicht üppig sind, auch ein Stück weit vermarkten. Diese - aus der Sicht der Verlage - freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden von Verlagsredaktionen betreut, Fremdrechte werden abgegolten, die Bezüge zu den Bildungsstandards und Rahmenplänen werden herausgearbeitet , etc. pp. Schlussendlich erfolgt in einigen Bundesländern eine abschließende Qualitätsprüfung und Zulassung durch das die Schulaufsicht ausübende Ministerium bzw. eine mit dieser Aufgabe betraute Behörde.

Die Ergebnisse dieser Arbeitsprozesse sind jährlich auf der „didacta“, der großen bundesdeutschen Bildungsmesse, zu besichtigen. Die Stände der großen Verlage, im Regelfall halbe Hallen, vermitteln einen Eindruck von der Dynamik und dem Potential, das in diesem Bereich steckt. Die Klett Gruppe z.B. erwirtschaftete so im Jahre 2009 mit rund 2.800 Mitarbeitern einen Umsatz von 466 Millionen Euro (vgl. bit.ly/uYhOId). Zu berücksichtigen ist, dass nicht der gesamte Umsatz aus dem Schulbuchgeschäft kommt; Lehr- und Lernmittel für den Einsatz im schulischen Umfeld, eingeschlossen der sogenannte „Nachmittagsmarkt“, bilden aber nach wie vor den Kernbereich dieser Unternehmen.

Systemisch betrachtet, macht die ganze Operation zunächst durchaus Sinn. Hinsichtlich der Qualität von Bildungsprozessen entsteht eine funktionelle Rückkoppelung. Aus pädagogischen Alltagsprozessen wird im übertragenen Sinne der Qualitätskern herausdestilliert und alltagstauglich wieder zurück ins System gespeist. In Gang gehalten wird diese Wertschöpfungskette - bezogen hier auf Schulbücher für Schulen in öffentlicher Trägerschaft - durch die finanziellen Mittel, die von öffentlicher und von privater Seite bereit gestellt werden.

Die Funktionsweise und Genese des Status quo (Teil I)

Den öffentlichen Schulträgern, vertreten durch die Kämmerer und Haushälter von über 11.500 Gemeinden, Städten und Landkreisen, stehen dabei die privaten (Eltern-)Haushalte von 10,5 Millionen Schülerinnen und Schülern zur Seite. Die Entscheidung für das ein oder andere Schulbuch erfolgt letztlich informell. Sie wird - zumindest bei größeren Schulen - in den Fachkonferenzen getroffen. Regelmäßig adressiert und z.T. auch besucht werden diese Fachkonferenzen von den Außendienstmitarbeiterinnen und -mitarbeitern der Verlage. Umgesetzt wird die Entscheidung für ein bestimmtes Schulbuch dann von den Trägern, denen aber in der Regel zu wenig Mittel zur Verfügung stehen, um kontinuierlich den Lernmittelbestand zu aktualisieren, oder von den Eltern, die - mehr oder minder freiwillig, um ihren Kindern möglichst optimale Lernbedingungen zu ermöglichen - auch etwas tiefer in die Tasche greifen. Abgemildert wird das Verfahren für die Eltern durch basisorganisierte Sammelbestellungen, die dann zumindest noch einen kompensatorischen „Rabattvorteil“ versprechen.

Entscheidender Knackpunkt bei der Wertschöpfungskette ist, dass eine zentrale Komponente der systemischen Qualitätsentwicklung, nämlich die wesentlichen Inhalte von Lehr- und Lernprozessen, also der Qualitätscontent, dabei rechtlich in einen anderen Aggregatzustand transferiert wird. Der Qualitätscontent wird - aus Sicht der öffentlichen Seite - privatisiert. Er wird zum rechtlich exklusiven Produktionsmittel der Verlage, urheberrechtlich geschützt. Und Urheberrechte sind Eigentumsrechte. Wer daran rüttelt, stellt die Grundfeste der Gesellschaft in Frage.

Konsequenzen und Perspektiven

Perspektivisch bedeutet dies, dass sich Deutschland auf dem Weg in die Informations- und Wissensgesellschaft an entscheidender Stelle, dem Zugriff auf Qualitätscontent für Allgemeinbildung (einem zentralen Aspekt gesellschaftlicher Reproduktion), ohne Not in eine strukturelle Abhängigkeit begibt.

Insgesamt entsteht damit ein asymmetrisches Verhältnis. Es sind die Verlage, die die Formate, die Geschäftsmodelle und den Preis der Nutzung bestimmen. Atmosphärisch wurde dieser Aspekt bei der Podiumsdiskussion mehrmals angetippt. Er bedingt das ungute Gefühl im Magen, auf das einige Diskussionsteilnehmer hingewiesen haben.

Salopp ausgedrückt, lässt sich das asymmetrische Verhältnis mit folgendem Bild beschreiben: „Der Rahm im System wird abgeschöpft und den Bauern als Butter verkauft“. Neudeutsch ausgedrückt nennt sich das Ganze dann informelle „Public-Private-Partnership“. Ja, es stimmt. Die öffentliche Seite hat auch Vorteile von der Partnerschaft. Die Entwicklung, die Produktion und der Vertrieb von qualitativ hochwertigen Lehr- und Lernmitteln sind aufwändig. Die Zusammenarbeit mit den Verlagen entlastet die öffentliche Hand. Aber zu welchem Preis?

Die Funktionsweise und Genese des Status quo (Teil II)

Im Zeitalter eingeschränkter Möglichkeiten technischer Reproduktion war der Status quo dieser „Public-Private-Partnership“ allgemein akzeptiert und funktionierte im Alltag auch reibungslos. Hinzu kam, dass weitgehend toleriert wurde, dass auf Arbeitsebene die ein oder andere Kopie aus einem Schulbuch (oder sonstigem Lehr- und Lernmittel) unter Missachtung der rechtlichen Bestimmungen erfolgte. So lange die Schulen, „damals in der analogen Welt“, noch weitgehend abgeschlossene, unvernetzte Teilbereiche darstellten, war dies aus der Sicht der Rechtehalter auch eine zu vernachlässigende Randerscheinung. Da wurde ein Auge darauf geworfen, ab und an ein Abmahn-Exempel statuiert und gut war. Der Ball wurde flach gehalten. Teile der Lehrerschaft, die passionierten „Jäger und Sammler“, nutzten diese rechtliche Grauzone mehr oder minder intensiv. Subjektiv stellte sich das Gefühl ein, eine Art „Gewohnheitsrecht“ wahrzunehmen.

Nun aber, da alle Schulen in der Republik am Netz sind und die Herstellung von digitalen Kopien „kinder- bzw. lehrerleicht“ geworden ist, hat sich die Gesamtkonstellation deutlich verändert. Ansätzen einer öffentlichen Diskussion über die notwendige Neufassung des Urheberrechts, auch mit Blick auf den Bereich der öffentlichen Bildung, wurde durch den Bereichsvorbehalt bei der Revision des 2. Korbs des Urheberrechtsgesetzes zunächst ein Riegel vorgeschoben. Die vermeintliche Ruhe währte aber nur kurze Zeit. Die Spannungen und Handlungsnotwendigkeiten auf dem Weg in die Informations- und Wissensgesellschaft sind zu groß, um in diesem strategisch zentralen Bereich vor allem defensiv ausgerichtete Regelungen dauerhaft aufrechtzuerhalten.

Die Aufregung von Teilen der Lehrerschaft, durch den Rahmenvertrag von der Kultusverwaltung „verraten“ worden zu sein, und die Angst der „Jäger und Sammler“, nun einer virtuellen urheberrechtlichen (Schul-)Hausdurchsuchung ausgesetzt zu sein, sind verständlich, sie berühren aber nicht den zentralen Punkt.

Die Wasserscheide

Alle Beteiligte spüren, dass mit der Diskussion über den sogenannten „Schultrojaner“ eine Wasserscheide überschritten wurde. Der Verhandlungserfolg der Verlage, in den Rahmenvertrag mit den Ländern den Einsatz einer Plagiats-Software festzuschreiben, ist ein Pyrrhussieg.

Das, was die Diskussion um den sogenannten „Schultrojaner“ nun befördert, ist der längst überfällige engere Dialog zwischen pädagogischer Praxis und Content-Entwicklern, zwischen Lehrer/innen und Schüler/innen, zwischen Bildungs- und Netzpolitik, zwischen Datenschutz und Medienpädagogik. In diesem Dialog stellen sich u.a. diese Fragen:

Welche ordnungspolitischen Veränderungen brauchen wir, damit es im 21. Jahrhundert zu einer intelligenteren Organisation von Wissensbildungsprozessen kommt?

Wie ermöglichen wir zukünftig gesellschaftlich einen intelligenten Zugriff auf Wissensinhalte für Allgemeinbildung?

Welcher rechtliche Rahmen ist dafür angemessen?

Wie kann dieser rechtliche Rahmen so einfach gehalten werden, dass er für möglichst viele Menschen verständlich ist?

Welches Mischungsverhältnis von offenen und proprietären Bildungsmedien brauchen wir?

Und vor allem, wie ist das finanzierbar?


Da gibt es viel zu besprechen. Nutzen wir die Aufregung um den „Schultrojaner“ zum Einstieg in einen fruchtbaren Austausch. Ich freue mich darauf.


PS: Weitere Fragen, die direkt oder indirekt bei der Diskussion anklagen und nicht weniger spannend sind, wären:
- Wie lässt sich bildungsmedial Inklusion befördern?
- Wie muss Lesekompetenzförderung bei Kindern aussehen, deren mediale Primärsozialisation eine audio-visuelle ist?
-Wie lässt sich Schule demokratisch organisieren an der Schnittstelle zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit, zwischen Zivilgesellschaft und Wirtschaft?


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Montag, 3. Januar 2011

Vision Kino 10 – Was bleibt vom Kongress?

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Zunächst ein herzliches Dankeschön an die Organisator/innen. Das Zusammentreffen war gut, teilweise sehr dicht und ein wichtiger Meilenstein beim aktuellen Übergang zu einer stärker vernetzten Film- und Medienbildung in Deutschland. Damit die Ergebnisse nicht wieder versinken im alltäglichen Wirbel der Reflexionen, schreibe ich hier einige Eckpunkte auf – Positionen bzw. Thesen, die ich für wichtig halte, die uns Orientierung geben könnten und sollten:

1. Filmbildung und Medienbildung bilden keinen Gegensatz! Filmbildung legt die Basis für eine fundierte Medienbildung im 21. Jahrhundert.

Das Medium Film ist ein „Brückenmedium“. Es spannt einen Bogen vom späten 19. in das frühe 21. Jahrhundert. Halb ist es den literarischen und dramaturgischen Traditionen der „Gutenberg-Galaxie“ verpflichtet, d. h. strukturell ein Printmedium, halb lädt es uns ein zur Erkundung der scheinbar unermesslichen Möglichkeiten einer vernetzten multimedialen – und z. T. auch multiplen – Existenz und Sichtweise auf die Welt. Es bietet uns die Möglichkeit, die Größe und den Wahnsinn des 20. Jahrhunderts zu verarbeiten sowie uns selbstbewusst und vor allem selbstbestimmt dem Prozess der Globalisierung zu stellen.

2. Die gesellschaftliche Funktion von Filmbildung liegt in der Förderung von Empathie und in der Chance zu audio-visueller Alphabetisierung.

Warum audio-visuelle Alphabetisierung? In der Allgemeinbildung erfolgt Alphabetisierung aktuell nach wie vor dominant und primär in literarisch-literater Form. Leider, muss hier angemerkt werden. Die Mehrzahl der Zielgruppe – Kinder, die im Kontext der Schulpflicht zu Eleven werden – erfährt konventionell eine eher geringe Wertschätzung ihrer originären Erfahrungen in der Begegnung mit Texten. Denn diese Texte sind ja in der Regel audio-visuelle, d. h. keine literarischen Texte. Es sind „illegitime“ Texte und Botschaften, die Kinder aus dem – je nach Bildungsstatus des Elternhauses – populärkulturellen „Parallel-Universum“ von Film, TV und Internet empfangen haben und, autonom für sich, lernten (!), als attraktiv und bedeutungsvoll zu rezipieren und zu interpretieren.

In der Institution Schule hingegen gelten diese Botschaften und Erfahrungen wenig. Cary Bazalgette hat in ihrer Keynote am Freitagmorgen auf diese primäre und prägende Medien- und Frusterfahrung verwiesen. Die kindliche medienkulturelle Feldforschung, dieser Impetus zu explorativem Lernen, kommt in der Regel im Klassenraum der Primarstufe zum Erliegen. Der „Ernst des Lebens“ entspringt einem fremden bzw. befremdlichen kulturellen Kontext. Wie viel lernlustvoller und persönlichkeitsstärkender wäre es doch, Alphabetisierung wenigstens gleichberechtigt auch als audio-visuelle Alphabetisierung zu erfahren?

3. Filmbildung findet per se weder ausschließlich im Kino noch im Klassenraum statt.

Mitunter störend beim Kongress war das Insistieren auf der Forderung, dass „wahre“ Filmbildung nur im Kino stattfinden kann. Nachvollziehen kann ich diesen Purismus, wenn er nüchtern seitens der Kinobetreiber vorgetragen wird. Dann ist die Motivlage klar. Eine Schräglage bekommt er hingegen, wenn er argumentativ überzogen wird und in Polemiken gegenüber Schulen und anderen öffentlichen, d.h. vermeintlich „hoch-subventionierten“, Einrichtungen mündet, die sogar nicht davor zurückschrecken, Filmbildung in Medienbildung zu integrieren und so „kulturell zu verwässern“. Filmbildung braucht beides: die methodisch-didaktisch professionelle Thematisierung im Klassenraum und das authentische Erlebnis im Kinosaal. Vermieden werden sollte gleichermaßen, dass Lehrkräfte aufgrund von Stress und organisatorischer Mehrarbeit letztlich den Aufwand scheuen, das Kino als außerschulischen Lernort zu nutzen, und dass Schulen darauf verzichten, die heutzutage exzellenten Möglichkeiten der Filmanalyse unter Nutzung digitaler Tools zu nutzen und Film-/Medienbildung stärker in den Alltag zu integrieren.

4. Medienbildung ist tendenziell lernmotivierend und kann ein wesentlicher Katalysator für pädagogische Innovation sein.

Der bekannte Kinder- und Drehbuchautor Paul Maar, Anfang der 1970er-Jahre noch als Kunsterzieher an kleinstädtischen Gymnasien in Baden-Württemberg tätig, berichtete am Donnerstagmorgen eindrücklich über seine damaligen Erfahrungen mit produktiver Filmarbeit. Für die Schülerinnen und Schüler war es zu jener Zeit der Motivationsschub schlechthin, selbstbestimmt mit der Super-8-Kamera erste eigene Filme zu drehen und diese dann einem „richtigen“ Publikum zu präsentieren. Das Lehrerkollegium hingegen beargwöhnte eher die innovative Methodik des jungen Kunsterziehers und verbannte die Filmarbeit in den außerunterrichtlichen, privaten Bereich.

Auf dem Weg hin zur Emanzipation ist die produktive Medienarbeit seit den 1970er-Jahren wohl ein kleines Stück vorangekommen. An innovativen Schulen wird sie als Teil von Unterricht akzeptiert und als wichtiger Bestandteil von Medienbildung gefördert. Die allgemeine Wahrnehmung und Wertschätzung hingegen, gerade im Zeitalter von Schulzeit-verkürzung und zentralen Prüfungen, ähnelt mitunter deutlich dem eher skeptischen Blick der ehemaligen Kolleginnen und Kollegen von Paul Maar: Können wir uns bzw. können sich unsere Schülerinnen und Schüler oder Kinder das heute überhaupt noch leisten? Wird da nicht kostbare Unterrichtszeit vergeudet?

Ich glaube: „Nein“. Die Wirkung von produktiver Film- und Medienarbeit ist gerade in der Entwicklungsphase der Adoleszenz, in der es um das Austesten von Rollen, die Eigen- und Fremdwahrnehmung, das Austarieren von Werten, Primär- und Sekundärtugenden geht, gar nicht zu unterschätzen. Film- und Medienarbeit wird dabei oftmals zu einem Synonym für intensivste soziale Lernprozesse und für komprimiertestes Methodenlernen. Die Schülerinnen und Schüler erfinden sich in der produktiven Film- und Medienarbeit neu. Die Projekte erfüllen die Funktion zeitgemäßer rites de passage.

5. Medienbildung ist mehr als der „pädagogische Beipackzettel“ für die entfesselte, neo-liberale Medienrealität des 21. Jahrhunderts.

Es geht primär nicht um das „reine“ Entschlüsseln von medialen Grammatiken oder die möglichst virtuose Handhabung mehr oder minder komplexer Funktionalitäten an der Schnittstelle zwischen Mensch und Informations- bzw. Kommunikationstechnologie: Medienbildung definiert das Fundament aufgeklärter Bürgerlichkeit im 21. Jahrhundert. Eine (Welt-)-Bürgerlichkeit, die sich frei macht vom Geschmack des 19. und 20. Jahrhunderts und kämpft gegen die Restauration autoritärer Strukturen im Kontext globaler Konzentrationsprozesse. Filmbildung ist in diesem Verständnis auch ein Stück Demokratiebildung. Und solange Demokratie nationalstaatlich verfasst ist, geht es also immer auch um ein Stück „Deutschbildung im globalen Medien-/Filmland“. Danke für die Möglichkeit zur Standortbestimmung und Kommunikation.

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Sonntag, 11. Februar 2007

Global Islands - Bildung auf den Azoren im Zeitalter der Informationsgesellschaft

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Es ist Sonntagmorgen in Lissabon, strahlend, klar und mild. Anfang Februar. Der Airbus A 320 der portugiesischen Fluggesellschaft TAP fliegt nach dem Start eine scharfe Linkskurve. Fünf Minuten später überquert er die Küstenlinie des europäischen Festlands. Das LCD-Display über den Sitzreihen zeigt einen Kurs geradewegs nach Westen. Nichts als Blau, eine waagrechte rote Linie, von rechts nach links, den virtuellen Atlantik durchschneidend. An diesem Bild wird sich auch während der nächsten Stunden nichts ändern. 11.000 Meter Höhe. Dies ist aber kein Transatlantikflug, nein, nur ein halber – sozusagen. Das Ziel ist die Inselgruppe der Azoren, gut 1.500 Kilometer vom portugiesischen Festland entfernt, eine Kette von Vulkanen, inmitten des 4.000 Meter tiefen Atlantiks – genau dort, wo die amerikanische, europäische und afrikanische Kontinentalplatte aufeinander stoßen. Bis zu 2.350 Meter hoch ragen die neun Inseln aus dem Atlantik, vom Golfstrom umspült. Das Klima ist fast tropisch, die Vegetation eine Mischung aus Irland und Brasilien. 240.000 Menschen leben dort, Europäer mit portugiesischem Pass, vier Flugstunden von der Ostküste der Vereinigten Staaten entfernt – ziemlich weit draußen und doch mitten drin.

Die Besiedelung der einstmals unbewohnten Azoren begann – nach offizieller Lesart – Mitte des 15. Jahrhunderts. Im Zuge der globalen Expansion Portugals erreichten Galeonen Heinrich des Seefahrers die Inseln. Der Hafen von Angra, im Süden der Insel Terceira gelegen, entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten zu einem Knoten- und Versorgungspunkt des portugiesischen Welthandels. Vielleicht aber wurden die Azoren auch bereits drei Jahrhunderte vorher „entdeckt“. Auf einer Karte des arabischen Geographen Al Idrisi aus dem 12. Jahrhundert sind entsprechende Markierungen mitten im Atlantik zu erkennen. Wie dem auch sei, die Geschichte der Azoren spiegelt seit nunmehr über 500 Jahren auf ganz eigene Weise die Phasen der Globalisierung wider. Sie, die Inseln, waren dabei jeweils entweder das Eine oder das Andere, entweder ganz peripher oder ganz zentral.

Die Azoren als Schaltzentrale der weltweiten Kommunikation

Eine wichtige Phase der Globalisierung, in der die Inseln im Zentrum standen, begann vor etwa 120 Jahren. Damals, Ende des 19. Jahrhunderts, wurden die Azoren zu einer Schaltzentrale der weltweiten Kommunikation. Die Hafenstadt Horta, im Osten der Insel Faial gelegen, erlebte als Knotenpunkt der transatlantischen Telegraphie einen legendären Aufschwung. Den Anfang machte die britische Europe & Azores Company, die 1885 mit der Verlegung eines Unterwasserkabels vom portugiesischen Festland nach Horta begann. 1893 nahm die Gesellschaft ihren Betrieb auf. 1900 folgten die Deutsch-Atlantische-Telegraphengesellschaft mit einem Kabel aus dem ostfriesischen Borkum und die Commercial Cable Company mit einer Verbindung nach New York. Die Azoren waren „online“.

In den 1930er-Jahren verbanden nicht weniger als 15 Telegraphenkabel Horta mit dem „Rest der Welt“. Gleichzeitig wurde die Hafenstadt zu einer wichtigen Zwischenstation des Transatlantikflugverkehrs. Flugboote von PanAm und Lufthansa wasserten im Hafenbecken, Maschinen von Imperial Airways (heute: British Airways) und Air France folgten. Im Zweiten Weltkriegs wurden die Inseln zu einem wichtigen Stützpunkt der Alliierten. Kurze Zeit später, Ende der 1940er-Jahre, war jedoch der Boom vorüber. Technische Innovationen (Landflugzeuge mit größerer Reichweite, Funktechnologie) machten den Azoren-Hub überflüssig, die Inseln fielen in einen Dornröschenschlaf. Die Azoren waren wieder „offline“.

João de Silva, ein Geschäftsmann Mitte vierzig, nimmt mich vom Flughafen der Insel Faial nach Horta mit. Stolz stellt er „seine“ Insel vor. Er lebt seit zwanzig Jahren hier. Vor uns breitet sich ein Panoramablick aus; im Vordergrund die von Caldeiras, erloschenen Kratern, zerklüftete Küste, dann, in der Sonne gleißend, ein Stück tiefblauer Atlantik und letztlich die steil aufsteigende Insel Pico Der Gipfel des gleichnamigen Vulkans, des höchsten Bergs Portugals, schaut kurz aus den Wolken. Die Straße ist eingerahmt von Mauern aus Lavagestein, dahinter saftig grüne Wiesen, im Windschatten Gärten mit Bananen, Orangen und Blumen. Die Laubbäume jedoch sind kahl, es ist Winter auf den Azoren.

„Anfänglich war das Leben hier noch sehr beschwerlich“, sagt João. „Die Abgeschiedenheit, nur Landwirtschaft und Fischfang, das niedrige Bildungsniveau, die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Festland.“ Sehnsüchtig blickten die Menschen nach Amerika, wohin zahlreiche Azoreaner emigrierten. Heute leben in den Vereinigten Staaten 700.000 Menschen mit familiären Wurzeln auf den Azoren, knapp drei Mal soviel wie auf den Inseln. „Heute aber ist die Lage eine andere. Durch das Internet habe ich, wann immer ich will, Anteil an der Welt. Ich bestelle Waren im Internet, nur mit der Lieferung hapert es noch. Manchmal dauert es eine Woche, bis die Bestellung eintrifft.“ João schmunzelt: „Aber so bleibt dazwischen immer noch genügend Zeit für einen Segeltörn auf dem Atlantik“.

In Horta, der 8.000 Einwohner zählenden Inselhauptstadt, setzt er mich an der Uferpromenade ab. Der Yachthafen, die Marina, hat über 370 Liegeplätze, 1.700 Boote machen hier jährlich fest. Die Mole ist übersät mit Malereien der Segelcrews, die auf ihrem Weg über den Atlantik hier Station gemacht haben. Das nahe gelegene Peter Café Sport ist seit vielen Jahren Treffpunkt und Informationsbörse der Hochseesegler und Weltenbummler, eine bekannte Adresse und seit der Weltausstellung in Lissabon zugleich eine internationale Marke – zuallererst aber ist Peter Café Sport nach wie vor eine Kleinstadtkneipe, nur eben „mitten im Atlantik“, mit einer breiten Holztheke, legendärem Gin Tonic für zwei Euro das Glas, vielen Erinnerungsstücken an den Wänden und einer alten Senhora, die neben der Kasse sitzend einen Mittagsschlaf macht.

E-Learning: Nach Feierabend wird auf den Azoren virtuell gelernt


Szenen- und Inselwechsel. Ich befinde mich auf Terceira, der drittgrößten und historisch wichtigsten Insel der Azoren, in Praia da Vitória. Es ist Dienstagabend und es stürmt. Das so genannte „Azorenhoch“ ist weit und breit nicht in Sicht, Regen prasselt auf die Dächer. In der Sekundarschule Vitorino Memésio ist der reguläre Unterricht zu Ende. Die Mehrzahl der 1.300 Schülerinnen und Schüler haben das moderne Gebäude am Rande der zweitgrößten Stadt von Terceira verlassen. Im Lehrerzimmer sitzen einige Junglehrer bei einem Espresso zusammen und singen gemeinsam, ein Kollege spielt Gitarre. Ein Stockwerk höher beginnt die Abendschule. Der Lehrer Paulo Ribeiro ist dreißig Jahre alt. Geboren wurde er auf Terceira, studiert hat er auf São Miguel, der größten Azoren-Insel, im Osten des Archipels.

Paulo sieht die Studenten seines Kurses nicht, sie befinden sich mehrheitlich auf anderen Inseln. Er, auf Terceira, sitzt konzentriert vor seinem Computerbildschirm und moderiert einen Chat – auf Französisch. Die Studenten-Plattform. Zwei Stunden pro Woche unterricht er die Fremdsprache online. Neben ihm sitzen weitere Lehrerinnen und Lehrer und unterrichten auf gleiche Weise. Seit 2001 sind die mittleren und östlichen Inseln ringförmig mit einem breitbandigen Backbone-Kabel verbunden. Durch das internetgestützte Netzwerk ist es nun möglich, speziellere Abendschulkurse, die auf jeder Insel für sich selten genug Interessenten fanden, als E-Learning-Kurse anzubieten. Nur die gering besiedelten westlichsten Inseln Corvo und Flores fehlen noch in diesem Verbund.

Am Mittwochmorgen haben sich die Regenwolken verzogen. Aus strahlend blauem Himmel scheint die Sonne auf das lang gestreckte Gebäude der Sekundarschule Jerónimo E. Andrade in Angra de Heroísmo, am Rande des historischen Altstadt der 18.000 Einwohner zählenden Inselhauptstadt von Terceira. Die Renaissance-Stadt Angra, die zweimal in ihrer Geschichte kurzzeitig zur Hauptstadt Portugals aufstieg, verlor seit dem 19. Jahrhundert immer mehr an Bedeutung. Die Rolle des politischen und wirtschaftlichen Zentrums der Azoren übernahm Ponta Delgada auf São Miguel, wo mehr als die Hälfte aller Azoreaner lebt. Angra wurde 1980 von einem verheerenden Erdbeben erschüttert. 1983 wurde die Stadt von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Seither wurden über 60 Prozent der Paläste und Häuser wieder auifgebaut.

Die Schule ist nicht unbedingt eine architektonische Kostbarkeit. Sie platzt aus allen Nähten. Um dem Raumbedarf zu genügen, mussten auf dem Gelände mehrere Baracken für zusätzliche Klassen aufgestellt werden. Über 2.250 Schüler werden hier von etwa 200 Lehrerinnen und Lehrern, von frühmorgens bis spätabends, in Wechselschichten unterrichtet. Die Schule verfügt über 11 Computer-Klassenräume, einen – vor allem von Lehrkräften genutzten – Multimedia-Raum und eine Mediothek. Sechs Computer-Klassenräume sind per Funknetz mit dem Internet verbunden. Neuerdings wird in dieser Schule – wie in 16 anderen Schulen auch – der „Class Server“ von Microsoft eingesetzt, eine softwarebasierte, webfähige Lösung für das Erstellen, Bereitstellen und Benoten von Unterrichtseinheiten und Prüfungsaufgaben. Die Lehrerinnen und Lehrer haben viel Zeit und Energie in die Ausgestaltung der Plattform gesteckt. Sie sind froh über „ihren“ Class Server und leiten die Schülerinnen und Schüler auch zur Nutzung im Klassenraum an, was als Konzept nicht immer überzeugend ist.

Notebook-Klassen und Multimedia-Assistenten: Die Zukunft heißt Informationsgesellschaft

Ich besuche eine 8. Klasse. Es ist eine Notebook-Klasse. Die Geräte wurden in der Regel von den Eltern finanziert. Dass ein Besucher aus dem Ausland hospitiert, scheint nicht groß zu stören. Das Fach Geographie steht auf dem Stundenplan. Die etwa 30 Schülerinnen und Schüler im Alter von 13 bis 14 Jahren sollen eine Präsentation über ein Land ihrer Wahl vorbereiten. Sie haben Gruppen gebildet und recherchieren über Suchmaschinen im Internet. João Alves, der Fachlehrer, beobachtet das Treiben gelassen aus der letzten Reihe. Brites und Carolina arbeiten mit Tiago und Rodrigo zusammen. Das gemischte Team hat sich „Costa Rica“ ausgesucht. Warum gerade dieses Land? So ganz genau wissen sie es auch nicht, antworten sie in sehr gutem Englisch. Costa Rica fanden sie einfach schick. Das Land schien „irgendwie“ zu den Azoren zu passen. Sie sammeln eifrig Material für ihre Powerpoint-Präsentation. Aber noch lieber stellen sie ihre selbst gedrehten und produzierten Videoclips vor: Es geht dort um Fußball, Schwimmen und Werbung. Sie sind mächtig stolz auf ihre Arbeit und sehr ambitioniert: Brites möchte Volkswirtschaft studieren und ihre Karriere als Tennisspielerin fortsetzen, Rodrigo sieht sich als zukünftiger Chirurg, Carolina als Physiotherapeutin und Tiago weiß noch nicht so genau, welchen Beruf er anstreben soll – außer, natürlich, Profi-Fußballspieler.

Zurück in Praia da Vitória. Vãnia Gil ist 20 Jahre alt. Die junge Frau hat sich für eine Ausbildung als Multimedia-Assistentin entschieden. Im ersten Jahr besucht sie die neue, aus EU-Fonds kofinanzierte Berufsschule. Gerne würde sie nach ihrer Ausbildung beim Fernsehen arbeiten. Abgesehen vom Satelliten-Fernsehen, das überall erreichbar ist, werden auf den
Azoren zwei Programme ausgestrahlt: das des öffentlich-rechtlichen Senders Rádio e Televisão de Portugal (RTP) und das des kommerziellen Anbieters cabo TV. Vãnia sitzt in einem der beiden Multimedia-Labore der Berufsschule. Etwa 220 Schülerinnen und Schüler werden hier von 39 Lehrkräften in acht verschiedenen Berufsfeldern ausgebildet. Die Atmosphäre ist konzentriert. Die etwa 10 Auszubildenden arbeiten mit Photoshop an Plakatentwürfen für eine lokale Veranstaltung. Ab und zu erfüllt Flugzeuglärm den Raum. Die Berufsschule befindet sich in der Einflugschneise des Flughafens in Lajes, der sowohl zivil als auch von den USA als Militärbasis genutzt wird. Die mehrere Kilometer lange Landebahn dominiert den Nordosten Terceiras. Die Basis umfasst eine US-Kleinstadt mit eigenen Schulen, Geschäften, Einfamilienhäusern und Baseballplätzen, aufmerksam bewacht von Sicherheitskräften. Die US Air Force nutzt den Flughafen als logistische Drehscheibe in ihrem globalen Netzwerk, sie ist zugleich der größte Arbeitgeber der Insel. Für Vãnia, die das US-Produkt Photoshop mit portugiesischer Nutzerführung beherrscht, aber kein Englisch spricht, bleiben die US-Nachbarn hingegen Fremde.

Im ehemaligen Bischöflichen Palast, schräg gegenüber der Kathedrale von Angra, befindet sich heute der Sitz des Regionalsekretariats für Bildung und Wissenschaft, des Kultusministeriums der Azoren. Regionalsekretär ist José Gabriel do Álamo de Meneses, 46 Jahre alt, sechsfacher Vater, Hochschuldozent und Mitglied der Partido Socialista. Die PS verfügt gegenwärtig über die absolute Mehrheit im Parlament der Azoren. Im Wahlprogramm von 2004 bekennt sie sich zu dem Ziel, möglichst vielen Menschen auf den Azoren die aktive Teilhabe an der Informations- und Wissensgesellschaft zu ermöglichen. José Gabriel do Álamo de Meneses wurde in Altares, einem kleinem Dorf an der Nordküste Terceiras geboren und studierte auf dem Festland – dem europäischen und dem amerikanischen, in Lissabon und Kingston, Rhode Island (USA). Seine Spezialgebiete sind Ökologie und Umweltschutz. José Gabriel do Álamo de Meneses und Isabel Rodrigues, seine Verwaltungschefin, berichten im ehemaligen Audienzsaal des Bischoffs, mit Ölgemälden und Tapisserien an den Wänden, von den heute deutlich veränderten Bildungsperspektiven für die Azoren. Am Internet fasziniert sie die Möglichkeit, „die Distanz zu den Kontinenten um uns herum zu reduzieren“. Heute, dank der Medien, seien die Azoren endlich dauerhaft „Teil des globalen Dorfes“ geworden.

Schule in globalen Dörfern, auf digitalen Inseln

Der Begriff „Globales Dorf“ erhält in São Bartolomeu ganz konkret Bedeutung. Auf der steil ansteigenden Hauptstraße der Gemeinde im Südwesten der Insel, weit weg von Lajes und der US Air Force Base, reitet ein Kleinbauer auf einem Esel. Erst passiert er die Milchannahmestelle der Molkereigenossenschaft und dann den Eingang zur Grundschule Manuel Sequeira. Der flache Steinaltbau, umgeben von einem Spielplatz, umfasst nur wenige Räume. 41 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 4 werden hier von drei Lehrerinnen unterrichtet. Fester Bestandteil des medienpädagogischen Konzepts der Schule („Escol@XXI“) ist die schon früh beginnende interaktive Nutzung des Internets. Die Grundschule Manuel Sequeira verfügt über einen kleinen Computerraum mit vier Online-Arbeitsplätzen und einem Beamer. Die 7- bis 8-jährigen Schülerinnen und Schüler werden von ihrer Lehrerin gerade in den Gebrauch einer E-Learning-Plattform eingeführt. Genau geübt werden das Anmelde-Procedere und die Besonderheiten der Online-Kommunikation über Foren. Später steht Chatten mit einer Partnerschule auf dem portugiesischen Festland auf dem Stundenplan. Die Atmosphäre in der Minischule ist konzentriert. Die Rolle der Lehrerinnen ähnelt mehr der von Lernberaterinnen. Sie haben verstanden, dass das Lernen „mit und über den Computer“ entscheidend für die Zukunft ihrer Schülerinnen und Schüler ist.

Die übergreifende Herausforderung ist es, mit der Einführung von IT in Schulen zugleich die Herausbildung einer neuen – auf Formen der Kollaboration und Interaktion basierenden – Lehr- und Lernkultur zu befördern. Ohne den Wechsel hin zu dieser neuartigen Kommunikationskultur bleibt der IT-Einsatz in Schulen letztlich eine vergebliche, wenig effiziente Investition. Es geht – auf den Azoren wie in anderen EU-Regionen auch – um nicht weniger als die Konvergenz von technologischer, pädagogischer, methodischer und organisatorischer Innovation. Gelingt diese Konvergenz, dann sind Schulen in der Lage, ihren Schülerinnen und Schülern eine entscheidende Hilfestellung auf deren Weg in eine von Globalisierung geprägte Welt zu weisen. Misslingt die Konvergenz, dann reproduzieren Schulen letztlich einen überholten Status quo – mit dem Nebeneffekt, dass sie strukturell eher Stagnation und Frustration verbreiten.

Gerade in einer peripheren Region wie den Azoren haben Schulen heute, im Zeitalter breitbandiger Kommunikation, die den Faktor „Raum“ relativiert, die Chance, zu einem Motor gesellschaftlicher Entwicklung zu werden. Für die nächste, jetzt in den Schulen befindliche Generation der Azoreaner bietet die Globalisierung die Möglichkeit, sich – erstmals seit langem – als gleichwertiges Mitglied der europäischen und internationalen Gemeinschaft zu erleben, ohne mehr oder minder zwangsläufig, früher oder später, an den Punkt zu kommen, an dem das Verlassen der Inseln die einzig sinnvolle Perspektive darstellt. Die Regionalregierung der Azoren hat diese Herausforderung offensichtlich erkannt. Sie plant, im Rahmen des Programms „Escolas Digitais“ bis 2008 weitere 15 Millionen Euro in die IT-Ausstattung der Schulen zu investieren. Die ersten 1.000 Laptops wurde im Frühjahr 2006 ausgeliefert. Und der Vision der „digitalen Schule“ folgt die Vision der „digitalen Insel“.

Auf Corvo, der nördlichsten und kleinsten Insel des Archipels, ist diese bereits Realität. Dort bekommt jeder Schüler und jeder Lehrer einen eigenen Laptop zur Verfügung gestellt. Über der ganzen Insel, die sich bereits auf der amerikanischen Kontinentalplatte befindet und jedes Jahr einige Zentimeter weiter nach Westen wandert, liegt eine Funknetz. „Corvo Digital“ heißt das Konzept, mit dem die Regionalregierung den noch verbliebenen 420 Einwohnern eine zeitgemäße Zukunftsperspektive zu geben versucht. Corvo, wo es Strom und Telefon erst seit 1973 gibt, ist jetzt online und wird es bleiben. Die Koordinaten haben sich verändert, mitten im Atlantik.

(c) Michael Kaden

Links:

http://www.azoresdigital.pt
Das zentrale Internetportal für einen Besuch der „digitalen Azoren“ (mit Statistiken, Bilddatenbanken, Landkarten und vielem mehr).

http://srec.azores.gov.pt
Die Internetseite der regionalen Bildungsverwaltung, Secretaria Regional da Educação e Ciência, in Angra (Terceira).

http://projectoatlantida.azores.gov.pt
Der regionale Bildungsserver.

http://www.esmarriaga.com
Die Internetseiten der Escola Secundária Manuel de Arriaga spiegeln – multimedial und graphisch innovativ – die kreative Atmosphäre dieser Schule in Horta (Faisal) wider. Ein wirklich herausragender Internetauftritt einer europäischen Schule.

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Montag, 27. März 2006

Tribute to Johan

Johan van der Keuken: Face Value, 1991

Dieser Film ist eine Art Fixpunkt.

"Es handelt sich, meiner Meinung nach, um ein Ensemble bewegter Positionen in einem Beziehungsrahmen, den man 'Europa' nennen könnte, ein unvollständiges und imaginäres Europa, im Westen begrenzt durch London, im Osten durch Prag und Rochlitz (eine Kleinstadt in Ostdeutschland), im Süden durch Marseille und im Norden durch Delfzijl (eine kleine nord-niederländische Stadt, in der mein Onkel Roelof lebt).

Was den Inhalt von Face Value angeht, dreht sich alles um das Gesicht und das Sehen: der Wunsch zu sehen, der Wunsch, sich dem Blick zu bieten, die Angst gesehen zu werden, die Unmöglichkeit sich selbst zu sehen, die Angst und den Wunsch den anderen zu sehen. Und innerhalb dieser Thematik des Sehens: der Kampf um Identität, der Kampf um das Territorium, die Anziehung, die Liebe, der Tod und die Geburt.

Ich habe Gesichter porträtiert, aber auch Räume und Worte (so wie Nosh Stimmen und Sprachen mit dem Ton porträtiert)."

Johan van der Keuken, Juni 1991

Face Value, NL 1991, 35 mm, 120 min

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